1938 – 9./10. November – 2002

In Leipzig lebten 1925 etwa 13 000 Bürger mit jüdischen Wurzeln. Bereits im Oktober 1938 deportierte Leipzig als erste deutsche Stadt 5000 Juden an die polnische Grenze. Im Mai 1945 lebten noch 14 Juden in Leipzig.

Hintergrund für die geplante Lichtinstallation ist der Gedanke einer Sichtbarmachung ehemaliger Präsens jüdischer Religion und damit jüdischen Lebens in Leipzig.
Wir sind die dritte Generation nach dem Krieg und haben das jüdische Leben in Leipzig nicht mehr erlebt. Wir haben keine wirkliche Erinnerung an die Präsenz Leipziger Juden.
Es gibt nur wenige Spuren im Stadtbild.
Der Zugang zu unserer eigenen Geschichte ist so erschwert, daß es eines intensiven persönlichen Suchens bedarf, um mit der Vergangenheit Kontakt aufzunehmen.
Die Deutschen sind erstarrt angesichts der Verantwortung, der Opfer – Täter – Dynamik. Hinter den vielen Zeichen der Mahnung hat ein Aufbrechen von wirklichem Gefühl und Mitgefühl kaum stattgefunden. Es gibt eine blinde Stelle im öffentlichen Bewusstsein, Spiegel eigener Vergangenheitsblindheit.

Mit der Vernichtung der Juden haben wir unserer Kultur eines wesentlichen Teils beraubt. Es wurde etwas abgetrennt, was nach eigenem Empfinden zusammen gehört.

Die Zeit scheint reif, den Verlust zu benennen und im Gefühl zuzulassen. Was uns als jüngerer Generation bleibt, ist selber suchen nach dem, was wir unbewusst vermissen. Heute können und müssen wir hinschauen, und ohne eigene Abtrennung mit Verstand und Gefühl erfassen, was damals geschehen ist. Nur so können wir versuchen, einen Zugang zur eigenen Geschichte zu finden.

Auf dem Weg zu den Orten ehemaliger Synagogen und Bethäuser begegneten mir Menschen, die spontan ihre Erinnerungen an Leipziger Juden erzählten. Der Gesprächsbedarf, ausgelöst an den Orten ehemaliger Synagogen, die durch nichts als solche erkennbar sind, bestätigte die Dringlichkeit des Themas.

Ich möchte durch die Sichtbarmachung von den ehemals ins Stadtbild gehörenden Synagogen die Aufmerksamkeit der Leipziger auf den stattgefundenen Verlust lenken.

Mit dieser Intension hoffe ich, dass die Installation einen Impuls setzt, der Erinnerungen weckt, Gespräche ermöglicht und innere Auseinandersetzung fördert.

Leipzig, Frühjahr 2002

Die Installation

Vom 10.11.2002 – 30.11.2002 wurden in Leipzig 15 Orte ehemaliger Synagogen und Betstuben durch eine Lichtinstallation markiert.
Die Installation erinnerte in ihrer Ausführung symbolisch an Thorarollen:

  • 160cm hohe Lichtsäulen aus Acrylglas
  • befüllt mit dem Gedicht „Todesfuge“ von Paul Celan, gedruckt auf Pergament
  • bei Einbruch der Dämmerung von innen heraus leuchtend
  • auf dem Sockel eine Tafel mit dem Namen der ehemaligen Synagoge, der einstigen Adresse (da teilweise Änderung von Straßennamen), Vermerk über Erhalt oder Art/Zeitpunkt der Zerstörung des Gebäudes

Standorte

  1. Ez-Chaim-Synagoge, Otto-Schill-Strasse 8 (Apels Garten 4)
  2. Ohel-Jakob-Synagoge, Pfaffendorfer Strasse 4
  3. Bethaus-Vereinigung Bikur Cholim, Eisenbahnstrasse 9
  4. Beth-Jehuda-Synagoge, Färberstrasse 11
  5. Ahawas-Thora-Synagoge, Färberstrasse 6
  6. Schaarei-Zedek-Synagoge, Schillerweg 31
  7. Tiktiner-Synagoge, Brühl 71
  8. Bochnia + Jassyer Synagoge, Gerber Strasse 48/50
  9. Verein Mischnajos-Synagoge, Humboldt Strasse 24  (Löhrs Care)
  10. Kolomea-Synagoge, Berliner Strasse 4
  11. Krakauer Synagoge, Berliner Strasse 10
  12. Tiktiner Synagoge, Richard Wagner Str. 3
  13. Bethaus des Rabbiner Friedmann, Leibnitz Strasse 24
  14. Merkin-Synagoge, Ritterstr.7
  15. Lehmberger-Synagoge, Schützenstr.7
  16. Tifereth-Synagoge, Eberhardstr.11

Mit einem Friedensgebet in der Nikolaikirche zum Gedenken der Pogromnacht und anschließendem Kerzenweg, der an drei Orten ehemaliger Synagogen der Innenstadt vorbei und hin zur ehemaligen Gemeindesynagoge in der Gottschedstraße führte, wurde die Installation am 11. November 2002 eröffnet.

Die Installation wurde zu keinem Zeitpunkt beschädigt.

Im Rahmen der Ausstellung „Jüdisches Leben in Sachsen“ zur jüdischen Kulturwoche 2003, wurde die Installation in den Räumen der Dresdner Bank in Leipzig dokumentiert.

 

Die Installation entstand in Kooperation mit:
Weiterdenken e.V. in der Heinrich-Böll-Stiftung,
Ephraim Carlebach Stiftung

Die Installation wurde gefördert durch:
Kulturamt Leipzig,
Regierungspräsidium Leipzig,
Sachsen LB,
Stadtwerke Leipzig,
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